Das Wunder vom Silbersee
Das Wunder vom Silbersee Zur Retrospektive von Irmin Kamp – von Helga Meister, düsseldorfer hefte, 2008
Irmin Kamp hat 31 Jahre lang an der Kunstakademie Düsseldorf als Professorin für Bildhauerei eine der spannendsten Klassen gehabt. Als Direktorin kämpfte sie von 1982 bis 1987 mit dem Wissenschaftsministerium für und wider das Kunsthochschul-Gesetz. Nun verabschiedet sie sich von ihrer Lehrtätigkeit und lenkt erstmals die Blicke auf ihr eigenes Werk.
Am Silbersee in Moers zeigt die 67-Jährige ihre erste Retrospektive. In der Landschaft, in der Weite des Raumes, in all den natürlichen Farben, in dem vielen Licht der Niederrheinlandschaft, wird deutlich, was diese Frau in ihrem eigenen Werk will. Es ist ein nicht enden wollender Dialog mit der Natur. Das erschreckt beinahe, weil man es für altmodisch hält. Es hat jedoch nichts mit einer wie auch immer gearteten romantischen Attitüde zu tun. Irmin Kamp baut sich nicht die Natur nach ihrem Bilde, sie stellt ihre Werke einfach zwischen Wiesen und unter Bäumen, am Wasser und unter den Wolken auf. Und siehe, sie stehen selbstverständlich, unverrückbar da, als seien sie für diesen idyllischen Flecken am Silbersee geschaffen. Jetzt wird auch klar, warum diese Frau jede freie Minute in Tobago verbrachte, im Verbund mit den natürlichen Palmen und dem Sand, der eigens für die Abformungen der Bergformationen angekarrt wurde. Ein Werk ist dies, das sich nicht im Kontrast zum Gewachsenen und Gewordenen sieht, sondern sich wohlfühlt in dieser Umgebung.
Vier knatschgrüne Bäume von 1970, die nun am Eingang stehen, sind wahre Lichtreflektoren. Ihr Lackglanz setzt sich gegen jedes Blatt und Gras zur Wehr. Sie behaupten sich als eigenwillige, fast poppige Landschaftsarchitektur in der Umgebung. Sie wirken wie Landmarken. Sie sind ganz einfach in ihrer Form, nur Stamm und Krone, wie aus einer Kinderzeichnung entwickelt. Das ist Irmin Kamps Stärke: diese Klarheit der Konstruktion. Jeder soll sehen, wie die Bäume zusammengesetzt und zusammengeschraubt sind. Das ist aus dem Geist des Minimalismus entwickelt, Objekte auf einfache, meist geometrische Strukturen zurückzuführen. Und doch wäre es falsch, von irgendeinem konzeptuellen Überbau zu sprechen. Irmin Kamp ist Bildhauerin. Als praktisch begabte Frau fügt sie hinzu: „Die Bäume könnten auch wieder aufgeschraubt werden.“ So einfach sind die Dinge, so unprätentiös wie die Umsetzung einer Kinderzeichnung ins Dreidimensionale. Ob da irgendein Stil oder Trend zur Anschauung kommt, interessiert sie nicht.
Aus Tobago, ihrer zweiten Heimat, brachte sie Dinge mit, die sie als Negativform benutzte, eine Palme, einen Tierpanzer, einen Felsenabguss. Sie liebt das Spiel zwischen exotischer Schöpfung und europäischem, architektonischem Umfeld. Etwas Typisches aus dem einen Kulturkreis wollte sie in den anderen verpflanzen.
Die Diskussion zu Themen wie Kunst am Bau, Kunst in der Fußgängerzone, Kunst in der urbanen Umgebung, Kunst im Hofgarten bestimmte seit Ende der 7oer Jahre die Debatte in Düsseldorf, an der sie sich lebhaft beteiligte. Zur 700-Jahr-Feier von Düsseldorf formte sie ihren Palmen-Stamm sieben Mal ab, mit all den Jahresringen, die auf das Leben der Pflanze verweisen. Dann mischte sie dem Polyester das blaue Tobago-Pigment bei, denn die Farbe sollte nicht abplatzen, sondern Teil der Skulptur werden. Schließlich stellte sie sieben Abgüsse in Blau in eine graue Betonumgebung in Düsseldorf und fügte Spiegel hinzu, so dass sie die urbane Situation und die blauen Sonderlinge zur Einheit brachte.
Nun feiert die Arbeit am Silbersee in Moers ihre Auferstehung, liebevoll restauriert, neu verankert vor einer frisch gestrichenen Häuserwand als architektonischem Hintergrund. Zur Auseinandersetzung mit der Landschaft kommt eine gehörige Portion Phantastik hinzu, wenn sie die Entwicklung ihrer schwarzen Mushrooms folgendermaßen erklärt: „Ich stand in meiner Küche, die war hoch, Altbau. Und da dachte ich: Ich möchte irgendetwas an der Decke machen, was bis nach unten auf den Boden geht. Ursprünglich habe ich an einen großen Raum gedacht, wo die Pilze an der Decke hängen könnten.“
2006 wurde die siebenteilige Arbeit in frischem, schwarzem Lack vor dem pseudoantiken Tempel des Markus Lüpertz im Ehrenhof aufgestellt. Man konnte durch sie hindurchgehen. Die Pilze wirken wie nach oben hin abgeschnitten, wodurch sie klar konstruiert erscheinen. Sie strahlen im Sonnenlicht und besitzen eine Grazie, die nun auch in den Zwiebeltürmen, diesen Eye Catchern im Silbersee, wiedererwacht ist. Zwischen dem Hybriden und dem Überkommenen, zwischen dem Natürlichen und dem Konstruierten, dem Erfundenen und Gefundenen, dem Bild, dem Abbild und dem Sinnbild ist da kein Unterschied. Die „Kunst parallel zur Natur“ war immer schon da, aber auch das Fake, der abgenommene und doch so falsche, weil wunderbar blaue Bambusstamm und die aggressiven, schwarzen Zwiebeln und die unendlichen Wasser wellen.
Nun erleben 15 Arbeiten am Silbersee in Moers ihr Comeback. Die Grundstücksinhaber Angelika Petri und Frank Merks sind die Initiatoren dieses Wunders. Dank ihrer Restaurierungskünste und ihrer Unterstützung kann die Öffentlichkeit kommen, schauen und staunen. Und Irmin Kamp lässt ganz knapp verlauten: „Ein idealer Standort.“ Sie musste lange warten, bis ihre Werke wach geküsst wurden.